Dienstag, Oktober 24, 2006

Alte junge Welt

Während, wie eben mal wieder festgestellt, Spiegel Online auch kein Kind von Traurigkeit ist, darf die junge Welt gewiß sein, den Spitzenplatz der Propaganda-News weiterhin uneingeschränkt verteidigen zu können - da schaut selbst die Bild dummdreist aus der Wäsche.

Nach der Überschrift »Israel hat nicht mehr Rechte als Nordkorea« weiß man schon, was kommen wird. Doch von Vorne.

Es handelt sich um ein Interview mit einer gewissen Mairead Corrigan-Maguire, der Gründerin einer ungewissen community:
"Mairead Corrigan-Maguire aus Nordirland ist die Tante dreier Kinder, die 1976 durch ein Fluchtfahrzeug von Attentätern erfaßt und getötet wurden. Sie gründete daraufhin die »Community of the Peace People«."
Und ab dafür.
"Ich bin gegen alle Kernwaffen und Atomwaffenversuche. Diese Waffen vernichten wahllos und massenhaft Menschen und müssen abgeschafft werden. Die Verantwortung für die Eliminierung dieser Waffen liegt vornehmlich bei den Vereinigten Staaten, die nicht nur die stärkste Atommacht sind. Sie waren auch das erste Land, das diese Waffen für seine Kriegführung eingesetzt hat."
Könnte natürlich daran liegen, daß die USA auch das erste Land waren, die überhaupt Atomwaffen einsatzbereit hatten. Aber um die USA geht es Corrigan-Maguire nur am Rande...

"Seit Beginn des Atomzeitalters vertreten die USA in der Frage atomarer Bewaffnung eine Doppelmoral und tun so, als seien diese Waffen für einige Nationen akzeptabel und für andere nicht. Diese Doppelmoral muß aufhören, oder sie wird zu einer Ausweitung der Atombewaffnung führen."
Keine Doppelmoral, kein nordkoreanisches Atomprogramm - logisch.

Auf die Frage "Israel und Nordkorea verteidigen beide ihr Recht, Atomwaffen zur Selbstverteidigung zu entwickeln und berufen sich dabei auf das Völkerrecht. Sehen Sie einen Unterschied?" wird geantwortet:
"Nein, es gibt keinen. Das ist reine Heuchelei. Israel hat nicht mehr Rechte, Atomwaffen zu besitzen, als Nordkorea, die USA, Rußland oder andere Staaten."
Eine Meisterleistung der journalistischen Wortverdrehung also, aus dieser Aussage, die eine prinzipielle Ablehnung von Atomwaffen demonstriert, den oben angegebenen Titel für dieses Interview zu finden. Alle Achtung, junge Welt.

Doch vielleicht, vielleicht interpretieret jW-Fuzzi Harald Neuber beziehungsweise die jW-Führung Corrigan-Maguire hier genau richtig. Das Interview endet mit der Frage "Wie stehen Sie zu den Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat über Nordkorea verhängt hat?", worauf folgende Antwort verabreicht wird:
"Ich bin absolut gegen diese Sanktionen. Sie sind ein weiteres Beispiel für die Heuchelei der USA und der Vereinten Nationen. Statt diplomatische Mittel einzusetzen, werden die Sanktionen als Mittel der kollektiven Bestrafung der nordkoreanischen Bevölkerung eingesetzt, die ohnehin schon genug zu leiden hat. Auf der anderen Seite erhält Israel jährlich drei Milliarden US-Dollar Finanzhilfe aus Washingon. Das ist ein Verstoß gegen den Symington Accord, ein Gesetz, mit dem US-Regierungen daran gehindert werden sollen, Länder zu unterstützen, die jenseits internationaler Kontrolle und Vereinbarungen Atomwaffen entwickeln. Solange Israel Massenvernichtungs- und Kernwaffen besitzt, wird es im Nahen Osten keine Abrüstung geben, weil die arabischen Länder auch über diese Waffen verfügen wollen. Wenn die UNO auf Massenvernichtungswaffen in Nordkorea und anderen Ländern insistiert, aber beide Augen zudrückt, wenn es um die USA, Israel oder Großbritannien geht, dann bleibt diese himmelschreiende Doppelmoral nicht unbemerkt."

Rekapitulieren wir. Erstens: die Sanktionen sind gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Zweitens: hätte Israel keine Atomwaffen, würden Iran&Co erst gar kein Interesse an dieser Waffengattung besitzen. Drittens: die UNO sollte Diktaturen wie Demokratien behandeln. Viertens: es ist mitnichten leichter, Staaten an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern, als Staaten, die bereits über solche Waffen verfügen, dazu zu bewegen, diese abzuschaffen.

Fazit: gegen USA und Israel ist der jW jeder Schwachsinn gerade schlau genug. Aber so viel war schon vorher klar. Interessant ist noch, daß Corrigan-Maguire leicht vom Programm des großen Vorsitzenden Lafontaines abweicht. Dieser, von ähnlicher Pseudologik beseelt, forderte (und hier unterscheiden sich Friedensaktivistin von populistischem Möchtegern-Antiimp) die Atombombe für den Iran - der Gerechtigkeit halber.

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