Montag, Dezember 04, 2006

Dann lieber doch im Untergrund

Die junge Welt, schon seit Stunden nicht mehr mit antisemitischen Auswürfen auf- und abgefallen, übt sich, aus- und überführt von Jürgen Roth, in Visagenkritik. Ein gar lust'ges Artikelchen, betitetel mit Gesichtergrauen, untertitel mit "Zeig mir deine Chefredakteure, und ich sag’ dir, welches Blatt du bist: Zur Editorialfotografie", schlawenzelt platitüdigt weiter wie es begonnen hat.

Jeder Magazinleser kennt die beiden. Der eine, der Grußonkel des deutschen Schmadderblattes Nummer eins, unser Megamoppel Helmut Markwort nämlich, trägt angegrautes, mittellang-frisurloses Haar, eine Brille Marke Dieter Hundt, ein anthrazitfarbenes Konfirmandensakko, einen irgendwie bunten und gemusterten Schlips und ein unternehmerisch-joviales, fast gackerndes Grinsen bis in die Birnenbäckchen hinein zur Schau. Ein leicht nach rechts wegkippender Kopf ist da zu gewärtigen, dessen Anblick resp. ikonographischer Gehalt zuweilen so zupackend und fordernd deucht, daß einem schon mal blümerant wird.
Nun bin ich der Vorletzte, der Markwort schützend zur Seite stehen würde. Aber, unter uns: sich über diesen "Megamoppel" lustig machen ist ungefähr so schwierig und gehaltvoll wie das Suchen von Knochen im Kotelett. Who friggin' cares?

Der andere, der Andreas Petzold vom Hamburger Konkurrenzorgan in Sachen heißer Luft und luftiger Hot News, schaut den Leser frontal an. Des Jacketts entbehrend, rechnet er, scheint’s, dem jugendlicheren Fach sich zu. Er mimt unter einer forschen oder immerhin feschen Wellenfrisur mehr den ernsthaften und gleichwohl optimistischen, zukunftsfesten Räsonneur, der, sobald die vierstündige Mittagskonferenz zu einem glücklichen Ende gekommen ist, noch mal die Andeutung eines Lächelns übers Gesicht fliegen, ja huschen läßt, anschließend die hellblauen Ärmel hochkrempelt und ein Editorial zusammenpfeffert, das sich rasiert und gewaschen hat und der Republik, mitunter gar der Welt die Wege weist, die sie einzuschlagen verdammt wäre, hätte ein gebildeter Mann des Hauses Gruner+Jahr das Sagen.
Ditto. Was uns aber der Onkel Jürgen in Wahrheit eindringlichst vor die ungläubigen, ja müden Augen führen möchte und auch tut, ist sein famoses Vermögen, schier endlos lange Sätze, die trotzdem oder gerade deshalb unbeschwehrt von einem Zeh auf den anderen hüpfen, in einer leichten Schwere zu kredenzen, die Ihresgleichen scheut, aber dennoch sowohl im Druck als auch Online, auf Deutsch: auf der Kokainlinie, in die wartende Welt getragen wird, und die Lesenden zugleich beeindruckt und erschreckt, ja anekelt.

Es folgt eine nicht endenwollende Flut an Negativbeispielen, nur unterbrochen durch zwei Ausreißer, bei denen sich die Chefredaktion in Zurückhaltung übt: Spiegel und Bunte. Nun hat es sich der Roth jedoch zum Ziel gesetzt, über sämtliche Monats- und Wochenheftchen, die leiderleider in vier statt zwei Farben gedruckt werden, herzuziehen. Ging es ursprünglich noch um fiese Gesichtsbaracken in Hoch- und Niedrigglanzmagazinen, wird nun des Rothens Ziel offenkundig: ablästern, bis die Schwarte kracht. Und das, wohlgemerkt, in einem der verabscheuungswürdigsten, dümmsten und überflüssigsten Blätter, die der deutschsprachige Raum zu bieten hat.

Und damit ist die leidende Lesendenschaft schon fast entlassen.
Nicht jedoch, ohne in die alte Tante Hörzu gegafft und feurig erregt gesehen zu haben: daß es der dortige Thomas Garms wagt, sich mit nackichter Glatze ablichten zu lassen. Davor ziehen wir den Hut und überreichen ihn Herrn Garms, auf daß er sein Haupt bedecke und solcher finalen Schamlosigkeit ein fälliges Ende bereite.
Doch haben sie da nicht die tolle Platte des geliebten Lenins vergessen? Kann ja nicht jeder ein Sozialistennest wie Ernesto oder einen Kommunistenkamm wie Kim tragen. Und tatsächlich, Roth selber gibt den Lenin - im Gegensatz zum Garms (an dem doch nun wirklich die Frisur das Sympathischste ist) also nicht freiwillig, sondern qua natura mit Glatze gesegnet. Wer im Glashaus sitzt.

Teil Zwo der rothschen Serie ist bereits in Arbeit: "Coverchaos. Zeig mir dein Titelblatt, und ich sag' dir, wie dein Blatt heißt: zum Neid der Besitzlosen."
Bring it on, Jürgen. Ich weiß, du schaffst das. Und uns.

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