Sonntag, Januar 06, 2008

Web 0, Süddeutsche -1

Völlig an mir vorbeigegangen ist ein Blogeintrag, Entschuldigung: ein professionellstmöglicher Digital-Feuilleton-Artikel auffe sueddeutsche.de, also an erster Stelle ein Dank an Empty Rooms von it all ends where it begins , der mich im Kommentarbereich dieses Artikels auf jenes uninformierte, neidische und schwerstbeleidigte Gestammel aufmerksam machte.

Jene Mattglanzleistung modderjournalistischer Selbstverteidigung nennt sich Die neuen Idiotae: Web 0.0. Allein dieser Titel lässt uns vor Ehrfurcht auf die Knie fallen, und gleichzeitig ins Wachkoma. Danke, Autor Bernd Graff, für diesen beeindrückenden Spagat zwischen Neid und Hammel.

Worum es geht, weiß man vermutlich schon vorher: der Journaille in Deutschland geht es schlecht, wollen doch immer weniger Leute genug Altpapier für den wöchentlichen Fischeinkauf, was ein Wegbröseln der Abos nach sich zieht, bis nur noch das Kernpublikum übrig bleibt (die Fischhändler). Schuld ist, und das wird von entsprechenden Kreisen gebetsmühlenartig wiederholt wie von der Musikindustrie die mutmaßlichen Verluste in Trilliardenhöhe dank Filesharing, das Internet (jedoch ausnahmsweise nicht das "Raubkopieren", da nun wirklich selbst die letzten "Idiotae" nicht auf die Idee kämen, die SZ und Konsorten zu scannen und zum Runterladen anzubieten). Die klassische Tageszeitung hat in unseren flotten Zeiten wirklich ein Problem, hinkt sie der eigentlichen Nachricht doch um bis zu 24 Stunden hinterher, am Wochenende gar länger, weshalb sie auf einen imaginären Qualitätsvorsprung verweisen muss: die anderen sind flott aber doof, wir sind lahm aber schlau.

Der Herr Graff jedenfalls macht zunächst (und wiederholt) einen auf "letzer linker Student":
Schlaue Menschen werden darauf hinweisen, dass das Internet immer schon ein Beteiligungsnetz war, und dass die Ansätze zu dieser Berichterstattung wesentlich älter sind als fünf Jahre. Leider nun sind jene Schlauen, die wir aus unserem gut gewärmten Mainstreammedia-Bett heraus und hinein in ihr debattenknisterndes Web grüßen: das Problem.

Das geht ja schon "gut" los. Da gibt es Leute, die das Medium Internet offensichtlich besser verstehen, als gewisse SZ-Redakteure, die das Internet tatsächlich nur als den verlängerten Arm ihres Printproduktes halten. Das darf nicht durchgelassen werden, ist doch die Journaille neben den Lehrenden die zweite Berufsgruppe, die das Klugscheißen gepachtet hat. Dumm sind immer die anderen, der Journalist nimmer. (Und, Graff, es ist mithin nicht "das" Problem, sondern "deins".)

Was machen nun jene "schlauen Menschen", die viel dümmer sind als selbst der dümmste Journalist?
Sie zerfleddern - wie es gerne auch wir Zeitungsmenschen tun - jedes Thema. Sie tun dies aber oft anonym und noch öfter von keiner Sachkenntnis getrübt. Sie zetteln Debattenquickies an, pöbeln nach Gutsherrenart und rauschen dann zeternd weiter. Sie erschaffen wenig und machen vieles runter. Diese Diskutanten des Netzes sind der Diskurstod, getrieben von der Lust an Entrüstung.
Anonym ist er nicht, der Bernd Graff, wenn auch mir persönlich leider unbekannt. Mangelnde Sachkenntnis stört ihn hingegen ebenfalls nicht, wie wir schon sehen und weiter sehen werden. Runter macht er auch, und zetert und pöbelt. Das "aber" des zweiten Satzes hätte er sich sparen sollen, dann wäre wenigstens ein Iota Glaubwürdigkeit erhalten geblieben.

Nach viel verbrämter und verletzter Eitelkeit kommt er auf den Punkt:
Das "Pew Research Center" in Washington hat im Sommer untersucht, welche Themen auf User-News-Sites wie Digg, Reddit und Del.icio.us für wichtig erachtet werden, mit dem Ergebnis: Als Ersatz für herkömmliche Medien kann sich der "citizen journalism" des Netzes nicht bewähren, vielleicht aber als Ergänzung. So versöhnlich muss man nicht sein: In der Nutzer-Hierarchie von del.icio.us gelangen nur drei Prozent der Nachrichten, die das Weltgeschehen bestimmen, auf die Plätze. Wesentlich wertiger werden hier Stücke über Kaffeekochen in Japan und die Beschaffenheit von Flugzeugsitzen empfunden.

Das also ist sein schizophrenes Problem: einerseits maßt sich das Web 2.0 an, ein Ersatz für die herkömmliche Berichterstattung zu sein; andererseits erdreistet es sich, nicht ausschließlich über den flüssigen Stuhlgang der Politikerkaste zu berichten.

Nachdem er seine persönlichen Webhighlights (YouTube und Linux, whoa) kurz vorstellt, muss er auch schon wieder zurückrudern:
Aber wieso all das grundsätzliche Hallelujah auf den "User Generated Content", der nicht selten ein "Loser Generated Content" ist? Wollen wir uns nur über die paar Gala-Vorstellungen freuen, wenn Fehlinformation, Denunziation und Selbstdarstellung das Tagesgeschäft der Laufkundschaft im Netz ist?

Da sind sich WWW und Zeitungsmarkt gleich: woher man seine Fehlinformation, Denunziation und Selbstdarstellung bezieht, ist jedem frei gestellt. Was der Herr Graff nicht begreifen will: es ist ihm völlig freigestellt, entsprechende Websites mit Missachtung zu strafen, wie dies andere mit der SZ machen. Doch die SZ ist ja ganz, ganz wichtig, bescherte sie uns doch eine der größten Sternstunden der journalistischen Zunft:
Wollen wir diesen Aufstand der Konsumenten mit der Aufdeckung des Watergate-Skandals vergleichen?

Wollen wir Äpfel mit Birnen vergleichen? Also investigativen Journalismus mit dem journalistischen Tagesgeschäft? In deinem Interesse, Herr Graff: lieber nicht.

Er will es einfach nicht verstehen.
Warum aber sollten Menschen, die lediglich neue technische Möglichkeiten nutzen, etwa um ihre Poesie-Alben zu veröffentlichen oder um ihrer Trauer über kaputte Computer Ausdruck zu verleihen, warum sollten diese Menschen Produktionsbedingungen für Medien diktieren und Meinungsführerschaft beanspruchen? Ist die produktive Vernetzung von wandelbaren sozialen Identitäten schon deswegen gegeben, weil jemand ein Chatprogramm anschmeißen kann oder sich in einem Blog wenigstens selbst beweist, dass er ja bloggt, also irgendwie noch lebt?

Für die ganz Dummen (also eben nicht die von Graff angeklagten "schlauen Menschen"): das WWW ist keine Tageszeitung.

Doch weiter im Redakteurs-Kung Fu.
Obwohl etablierte Formen der Informationsbildung, zum Beispiel aus Tageszeitungen und Magazinen, als "Mainstream Media" verspottet werden (sie gelten als korrumpiert, hierarchisch, hirngewaschen, langsam und überaltert), obwohl der Schwarmgeist also triumphieren möchte, darf erinnert werden: Es macht immer noch den Unterschied, wer etwas sagt. Und wo er es tut.

Baby, you're a star! Nicht was wie geschrieben steht, sondern wer wo schreibt ist der Primat. Tolle Wurst. Warum? Darum:
Die etablierten Medien verfügen über rigide Aufnahmeverfahren und praktizieren bei journalistischem Fehlverhalten im besten Fall Sanktionierungen. Es darf also eben nicht jeder überall mitschreiben - und der, der schreibt, macht dies nie unbeobachtet und zum Beispiel auf der freien und anonymen Wildbahn der Wikipedia, die so einfach anzuklicken ist und wohl auch deshalb vor Fehlern strotzt. Was aber wiegt dann mehr? Dass das immer elitäre Denken der Mainstream-Medien im Zweifel undemokratisch ist? Oder, dass daraus Qualität entsteht?
Die "rigiden Aufnahmeverfahren" sehen so aus, dass jede und jeder zunächst über die berüchtigten Kaninchenzüchtervereine zu schreiben hat, bevor es über die Karnevals- zur Bundestagssitzung geht. Für jeden mystischen "ernsten Journalismus" soll zunächst gelernt werden, wie selbst aus dem letzten Dreck eine stilbefreite Meldung wird. Das ist fürwahr rigide.
Im Vorübergehen veranschaulicht der Herr Graff an dieser Stelle anschaulich, wie viel bzw. wenig "Sachkenntnis" er von der Materie hat. Wikipedia mag "einfach anzuklicken" sein (doch gilt das nicht erst einmal für jede Website?), doch weder strotzt sie vor Fehlern, noch bleibt mutwillige Sabotage dort lange unentdeckt - die Community schafft tatsächlich das, wofür ein Herr Graff eigentlich einen Chefredakteur benötigen würde: um den grobsten Unfug aus der Welt zu schaffen.

Was ihn ärgert, ist mithin das 2.0 am Web:
Schirrmacher hat auf die Polemik und die Eskalation im Netz reagiert und bei Spiegel Online eine Art kommentierter Lesehilfe nachgereicht. Auch diese Gebrauchsanweisung wurde natürlich wieder kommentiert. Unter anderem so: "Was soll man denn davon halten, wenn Schirrmacher . . . die Vorteile der Tageszeitungen quasi als Gegenmittel gegen die negativen Momente und Folgen des Internets anpreist? Hier wird natürlich ein Qualitätsgegensatz zwischen beiden Medien herbeigeredet."

Nein, ihr Lieben, der wird nicht herbeigeredet. Der besteht.

Nicht so despektierlich, mein Lieber. Wie beispielsweise unter dem Label Journaille in diesem Blog nachzulesen ist, greift jene in Deutschland oft genug ins Klo. Die selbsternannten Fachleute, deren einzige Expertise in vielen Fällen nur das geschriebene Wort ist, können sich nur so lange wie die tollsten Koryphäen aller Belange gerieren, wie ihr Schrieb unkommentiert verbleibt.

Was bleibt hängen? Die Journaille verteidigt sich. Und das schlecht.

2 Kommentare:

  1. Danke für den Hinweis. Endlich mal wieder ein erbärmlicher SZ-Artikel, dessen Erbärmlichkeit auch das Lesen lohnt! Meine Lieblingswendung in diesem Sinne: "das immer elitäre Denken der Mainstream-Medien". Glücklich soviel überidentifizierte Naivität, die sich im Schoß des Medienmainstreams noch im intellektuellen Ober- bzw. Flak-Geschoß der Demokratie oderwiedashieß wähnt.

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  2. Und das in Bezug auf seine Wünsche bzgl. einer neuen alten Elite. Das macht diesen albernen Halbsatz, als sarkastische Spitze gemeint, noch amüsanter.

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