Mit Blockbuster-Filmen und trivialmythischen Romanen teilen die millionenfach verkauften Computerspiele auch die Kurzlebigkeit. Der enorme ökonomische Erfolg findet keine Entsprechung im »kulturellen Kanon«. Kaum jemand redet noch von »Stalker – Shadow of Chernobyl«, dem Kassenschlager des vergangenen Jahres. Und dennoch sind solche Produkte in ihrer soziokulturellen Bedeutung keineswegs zu unterschätzen. Sie sind historisch irrelevant, und gleichzeitig sind sie nichts anderes als ein adäquater Ausdruck der Geschichte der Gegenwart; Ausdruck der Funktion, die die Software und die Hardware im Alltag der Menschen haben.
Jupp, S.T.A.L.K.E.R. (!) kennt kein Mensch mehr. Doch man mag sich wundern, wie willkürlich dieser Griff in den Fundus der Computer- und Videospiele ist. S.T.A.L.K.E.R. war ok, aber nicht großartig, mit einer durchschnittlichen Bewertung von geschätzten 80% - schwerlich ein Meilenstein der Videospielgeschichte. Andere Spiele jedoch bleiben sehr wohl im kulturellen Gedächtnis; Serien zumeist (denn alles, was derartigen Erfolg genießt, bekommt ein Sequel, logisch), aber nicht ausschließlich. Kein Zufall jedenfalls, dass ausgerechnet ein Spiel aus dem ausgelutschtesten, innovationsärmsten und gameplaysimpelsten Genre herausgegriffen wurde - Egoshooter sind das spielerische Äquivalent der Boy Group-Retorten.
Allgemein wird die realistische, »wirklichkeitsgetreue« Grafik, die Computerspiele wie »Grand Theft Auto«, »Stalker« oder »World of Warcraft« bieten, begeistert gefeiert.
Die Grafik von S.T.A.L.K.E.R. war wie das gesamte Spiel (nett, nicht topp), und World of Warcraft (WoW) ... wer hier von wirklichkeitsgetreuer (mit oder ohne Anführungszeichen) Grafik spricht, schreibt entweder seine Artikel auf der Schreibmaschine, oder biegt sich nun bereits zum zweiten Mal ein Argument zurecht.
Ein Computerspiel, in dem statt Auto Eisenbahn gefahren wird, in dem Städte aufgebaut statt zerstört werden, ist langweilig; mit »World of Warcraft« und dergleichen können Spiele wie »Railroad Tycoon« oder »SimCity« nicht mithalten.
"Und dergleichen" ... der Erfolg von WoW sucht seinesgleichen, zum dritten Male wird also konstruiert. Worin die Faszination von WoW besteht, ist leicht erklärt: Interaktion und Auseinandersetzung mit anderen Menschen via WoW-Interface ("der Welt schönster Chat-Client"), sowie flottes und regelmäßiges Verbessern des eigenen Charakters ("pling") - hier holt sich die Jugend, was ihr im "realen Leben" verwehrt bleibt: soziale Vernetzung und Anerkennung. Mit Zerstörung hat das nichts zu tun.
Dass in GTA IV auch Bahn gefahren wird, sei nur am Rande erwähnt.
Liebste Jungle World, es scheint, als wenn ihr eure Redaktion am liebsten in die Rudi-Dutschke-Straße verlegen wolltet. Lassen, das.